- Die Entdeckung der Antibiotika – 100 Jahre Paul Ehrlich

20Antibiotika © panthermedia.net / Lightsource

Vor genau 100 Jahren, am 20. August 1915 erlag der Arzt und Pharmakologe Paul Ehrlich im Kreise seiner Familie den Folgen eines Herzinfarktes. Für seine Arbeiten zur Immunologie wurde Paul Ehrlich 1908 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Aber nicht nur die immunologischen Errungenschaften, die er ermöglichte und an denen er mitwirkte, können in seinem Lebenswerk hervorgehoben werden. 1910 entdeckte Paul Ehrlich nach langer mühevoller Arbeit das erste Antibiotikum der Geschichte[1].

Lebenswerk eines Wissenschaftlers

Als Kind jüdischer Eltern wurde Paul Ehrlich am 14. März 1854 im niederschlesischen Strehlen geboren. In Straßburg und Freiburg studierte er Medizin, promovierte 1878 und nahm danach eine Stelle an der Berliner Charité an. Schon während des Studiums hatte er sich in seiner Freizeit mit Hämatologie (Physiologie und Erkrankungen des Blutes) und der Einfärbung von Zellen befasst. „Ehrlich färbt am längsten“, spotteten seine Kommilitonen. 1883 heiratete er Hedwig Pinkus, die Tochter eines Textilfabrikanten, mit der er zwei Töchter, Stefanie und Marianne, bekam. Seine Ehe gilt noch heute als ungewöhnlich gleichberechtigt für die damalige Zeit. Zeit seines Lebens setzte sich Ehrlich außerdem für die bessere Bezahlung weiblicher Wissenschaftlerinnen ein und kämpfte für die Gleichstellung mit ihren männlichen Kollegen. 1891 wurde Paul Ehrlich von Robert Koch, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband, an das neugegründete Institut für Infektionskrankheiten berufen. Ehrlich untersuchte dort immunologische Problemstellungen und nahm 1895 schließlich die Arbeit am Diphterieserum auf, die ihm später den Nobelpreis einbrachte. Ehrlich und seine Kollegen hatten Pferde gegen Diphterie immunisiert und aus deren Blutserum ein Diphterieserum mit Antikörpern gewonnen, das das Leben vieler Menschen retten sollte. Heute nennt man diesen Vorgang „passive Immunisierung“. 1896 schließlich wurde Ehrlich zum Direktor des neuen Königlichen Instituts für Serumforschung und Serumprüfung ernannt. Er hatte sich aufgrund seiner jüdischen Herkunft einen solchen Posten nie zu erträumen gewagt. Mit „Geduld, Geschick, Geld und Glück“, wie er selbst zu sagen pflegte, entwickelte Ehrlich gemeinsam mit geschulten Kollegen in den folgenden Jahren ein antimikrobiell wirkendes Heilmittel gegen die Syphilis, das erste Antibiotikum. Nur fünf Jahre nachdem das Mittel unter dem Namen Salvarsan auf den Markt kam, verstarb sein Entdecker[2][3].

Die Substanz 606

Paul Ehrlich war auf der Suche nach einer Substanz, die gezielt und selektiert bestimmte mikrobiologische Organismen abtöten konnte, den menschlichen Organismus dabei aber weitestgehend unberührt ließ. Er nannte das „chemisches Zielen“. Inspiriert wurde seine Arbeit von einem französischen Wissenschaftler namens Antoine Béchamp, der 1863 eine Arsenverbindung entdeckte, die aufgrund ihrer Giftigkeit Atoxyl genannt wurde. Wie sich herausstellte, war Atoxyl aber nicht nur giftig, sondern auch ein wirksames Heilmittel gegen die Schlafkrankheit, das allerdings starke Nebenwirkungen hervorrief. Er testete viele hundert Substanzen und fand schließlich eine Arsenverbindung, die kaum toxische Eigenschaften besaß und Spirochäten, eine bestimmte Bakterienart, abtöten konnte. Kurz darauf, 1906, wurde er durch die Entdecker des Syphilis-Erregers, Fritz Schaudinn und Erich Hoffmann, darauf hingewiesen, dass es sich bei der „Lustseuche“ ebenfalls um eine von Spirochäten verursachte Erkrankung handle. Nach langer, mühsamer Arbeit gelang es Ehrlich und seinen Kollegen, die Substanz 606, Arsphenamin (Dioxydiamidoarsenobenzol) zu entwickeln, die gezielt gegen die Syphilis wirkte und kaum Nebenwirkungen verursachte. Das Medikament wurde in den folgenden Monaten einer umfassenden klinischen Prüfung durch Tierversuche, Versuche mit den Insassen von Irrenanstalten und Versuche mit anderen Patienten unterzogen. Am Ende konnten Ehrlich und seine Kollegen etwa 3.000 erfolgreich behandelte Syphilis-Fälle verzeichnen. Über die entstandenen Nebenwirkungen, einige Erblindungen und wenige Todesfälle, gaben die Wissenschaftler ehrlich Auskunft. Mögliche Nebenwirkungen hingen unter anderem mit entstandenen Anwendungsfehlern zusammen, da die Verabreichung des Mittels kompliziert war und mit größter Sorgfalt geschehen musste. Ab Dezember 1910 schließlich war die Substanz 606 unter dem Namen Salvarsan („heilendes Arsen“) im Handel erhältlich. In seinen verbleibenden 5 Lebensjahren widmete sich Ehrlich der Weiterentwicklung und Verbesserung seines Medikaments, wurde dabei aber in der Öffentlichkeit hart kritisiert, was unter anderem mit seiner jüdischen Herkunft zusammenhing[4][5].

Antibiotika heute

Schimmelige Probe© panthermedia.net / luchschen
Schimmelige Probe

Bis zur zufälligen Entdeckung des Penicillins durch den Wissenschaftler Alexander Flemming 1928/29, dem über die Sommerferien einige seiner Proben verschimmelt waren und der daraufhin feststellte, dass überall dort, wo sich Schimmel gebildet hatte, die Bakterien abgestorben waren, vergingen nach Paul Ehrlichs Innovation noch beinahe 20 Jahre. Inzwischen sind etwa 8.000 Antibiotikaarten erforscht, von denen sich ca. 100 für die Anwendung am Menschen eignen. Antibiotika können nach ihren Wirkungsmechanismen in verschiedene Klassen eingeteilt werden. Es gibt Antibiotika, die Bakterien gezielt abtöten, beispielsweise durch Auflösung ihrer Zellwände- oder Membranen oder aber Antibiotika, die die Reproduktion und den Stoffwechsel der Bakterien stören und so ihre Ausbreitung verhindern. Es gibt Schmalbandantibiotika, die nur wenige Erreger schädigen und Breitbandantibiotika, die viele verschiedene Arten von Bakterien abtöten, so aber auch den gesunden Wirtsorganismus durch Nebenwirkungen beeinträchtigen können[6].
Der Einsatz von Antibiotika, vor allem bei Tieren, aber auch der inflationäre Einsatz am Menschen, wird heute scharf kritisiert. Die bakteriellen Erreger bilden mit der Zeit durch Genmutation, Vererbung und Übertragung Resistenzen aus. Die so entstandenen resistenten Keime sprechen auf Antibiotika nicht mehr an und werden dementsprechend in Zukunft umso gefährlicher für den Menschen, da sie nicht ohne weiteres arzneilich behandelt werden können[7][8]. Die EU arbeitet derzeit an einer neuen Richtlinie zum eingeschränkten Gebrauch von Antibiotika in der Tierzucht, die Ende 2015 in Kraft treten soll[9].

Paul Ehrlich© fotolia.com / buyman
Paul Ehrlich auf dem 200-Mark-Schein

Gegen eine Erkältung wirkt ein Antibiotikum übrigens nicht. Erkältungen werden in der Regel durch Viren verursacht, die sehr viel reproduktionsfähiger und widerständiger sind als Bakterien. Nur bei besonders hartnäckigen Erkältungen kann sich eine sogenannte bakterielle Superinfektion entwickeln, gegen die dann bakteriell wirksame Antibiotika verabreicht werden können[10].

Der Entdecker der ersten Antibiotikums, Paul Ehrlich, wurde lange Zeit geehrt, indem sein Konterfei den 200 DM-Schein zierte. Es steht zu hoffen, dass der inflationäre Gebrauch des lebensrettenden Heilmittels eingedämmt werden kann und die Menschheit auch in Zukunft gegen bakterielle Infektionen geschützt sein wird.

Quellenangaben:

[1] Lebendiges Museum Online „Paul Ehrlich 1954 – 1915“: https://www.dhm.de/lemo/biografie/paul-ehrlich 07.08.2015
[2] Axel Hüntelmann „Er suchte nach der Zauberkugel“: http://www.berliner-zeitung.de/archiv/vor-hundert-jahren-erhielt-paul-ehrlich-den-nobelpreis—fuer-arzneien–die-millionen-menschen-das-leben-retteten-er-suchte-nach-der-zauberkugel,10810590,10606172.html 07.08.2015
[3] Axel Hüntelmann: Paul Ehrlich. Leben, Forschung, Ökonomien, Netzwerke, Wallstein Verlag, Göttingen 2010.
[4] Chemie.de „Salvarsan“: http://www.chemie.de/lexikon/Salvarsan.html 07.08.2015
[5] Axel Helmstädter „100 Jahre Salvarsan. Chemisch auf Erreger zielen“: http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=36310 07.08.2015
[6] Spektrum.de „Antibiotika“: http://www.spektrum.de/lexikon/biologie/antibiotika/4027 07.08.2015
[7] Spektrum.de „Antibiotika-Resistenz“: http://www.spektrum.de/lexikon/biologie/antibiotika-resistenz/4028 07.08.2015
[8] Pia Heinemann „Wieso Antibiotika uns in die Krise treiben“: http://www.welt.de/wissenschaft/article109383224/Wieso-Antibiotika-uns-in-die-Krise-treiben.html 07.08.2015
[9] Ärzte Zeitung Online „Eu will weniger Antibiotika in der Tierzucht“: http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/gesundheitspolitik_international/article/882296/richtlinien-entwurf-eu-will-weniger-antibiotika-tierzucht.html 07.08.2015
[10] Erkältet.info „Antibiotika bei Erkältung“: https://www.erkaeltet.info/erkaeltung/behandlung/medikamente/klassische-arzneimittel/antibiotika/ 07.08.2015