- Wie viel ist zu viel? Wenn Sport das Immunsystem lahm legt

Wenn Sport das Immunsystem lahm legt © panthermedia.net / AntonioGuillemF

Regelmäßige Bewegung tut Körper und Gesundheit gut – das ist unumstritten. Doch welches Maß an Sport ist das richtige für die Prävention von Erkrankungen? Ist am Sprichwort „Sport ist Mord“ doch etwas dran? Bis in die siebziger Jahre stand bei diesen Fragestellungen vor allem das Herz-Kreislauf-System im Vordergrund der Forschung [1]. Heute weiß die Wissenschaft, dass sportliche Aktivität ebenso direkte Auswirkungen auf das Immunsystem hat [2]. Ob diese von Vor- oder Nachteil sind, hängt erheblich von der Dauer und Intensität der Belastung ab [2][3].

Wie Sport die körperliche Abwehrkraft beeinflusst

Sport stellt für den Körper eine Belastung dar. Als Reaktion auf diese wird das Stresshormon Adrenalin ausgeschüttet [2]. Dieses wiederum stellt einen Stimulus für Vorgänge im Immunsystem dar: Bereits nach wenigen Sekunden sportlicher Aktivität steigen im Blut die weißen Blutzellen (Leukozyten) an. Das sind jene Zellen, die im Dienste der Abwehr stehen [1]. Auch zahlreiche andere Faktoren des Immunsystems nehmen bei moderater körperlicher Belastung zu [3]. Das Ausmaß des Anstiegs dieser Zellen und Faktoren hängt vom Maß der Belastung ab [2][3]. Nach dem Sport nimmt die Anzahl der Abwehrzellen wieder ab. Sport führt somit nicht zu einer langfristigen Erhöhung der Abwehrkräfte. Wissenschaftler sagen jedoch trotzdem, dass moderater Sport das Immunsystem „trainiert“ [2]. Nicht nur die Anzahl der Zellen steigt, sondern auch deren Funktionsfähigkeit [2]. Personen, die mäßiges Ausdauertraining (z.B. 15 bis 25 Laufkilometer pro Woche, verteilt auf 3 bis 4 Trainingseinheiten) betreiben, erkranken seltener an Atemwegsinfektionen als Untrainierte [1]. Menschen mit einer erhöhten Infektanfälligkeit kann daher zu einem moderaten Ausdauertraining geraten werden. Da ein gut funktionierendes Abwehrsystem nicht nur vor Infektionen schützt, sondern auch entstandene Tumorzellen abtötet, können diese Effekte eventuell sogar als krebsvorbeugend angesehen werden [3]. Demnach sinkt bei regelmäßiger körperlicher Aktivität die Rate an Dickdarmtumoren um die Hälfte [1]. Andere Tumorarten scheinen jedoch weniger von Bewegung beeinflusst zu sein.

Wie viel ist zu viel?

Studien konnten zeigen, dass erschöpfendes Training zu einer Umkehr der oben genannten Effekte führt [3]. Die verschiedenen Faktoren des Immunsystems nehmen ab [3]. Anders als der nur kurzzeitige Anstieg bei moderatem Training, scheint es sich hier um einen langfristigen Effekt zu handeln [3]. Die negative Auswirkung auf das Immunsystem ist vor allem dann zu beobachten, wenn zum körperlichen Stress, psychischer Stress wie z.B. Leistungsdruck hinzu kommt [3]. So konnte im Rahmen einer Studie gezeigt werden, dass nach einem Marathonlauf jeder siebte Teilnehmer an einem Atemwegsinfekt erkrankt [1]. Ob Leistungssportler demnach auch ein erhöhtes Risiko haben, an Krebs zu erkranken, ist noch nicht ausreichend erforscht. Die derzeitige Studienlage lässt jedoch vermuten, dass ein höheres Erkrankungsrisiko besteht [1][3].

Körperliche Grenzen erkennen

Husten oder Schnupfen ohne Fieber müssen nicht zwangsläufig eine totale Sportpause zur Folge haben [1], es sollte jedoch nur leichtes Training durchgeführt werden. Anders dagegen ist es bei Anzeichen wie allgemeiner Abgeschlagenheit, Fieber oder Lymphknotenschwellungen – häufigste Symptome für einen generalisierten Infekt [1]. Diese müssen eine absolute Trainingspause zur Folge haben. Wenn trotz einem Infekt wie der Grippe ausgiebig trainiert wird, besteht die Gefahr einer Herzmuskelentzündung (Myokarditis) [4]. In Einzelfällen wurden Zusammenhänge zwischen körperlicher Belastung, Myokarditis und plötzlichem Herztod beobachtet [1]. „Sport ist Mord“ kann also in Extremfällen der Wahrheit entsprechen.

Das eigene Maß finden

Ob Sport der Abwehr gut tut, hängt stark von der Intensität der Belastung ab. „Belastung“ ist jedoch ein sehr subjektiver Begriff. Was für den einen ein strammer Spaziergang ist, ist für den anderen ein Marathonlauf. Die Schwelle, an der sich die positiven Effekte auf das Immunsystem ins Negative wandeln, ist somit individuell sehr unterschiedlich. Untrainierte Personen gelangen viel schneller an den Punkt, an dem das Immunsystem geschwächt wird. Die einfachste Orientierungshilfe, ob man sich unter der Belastungsgrenze befindet, stellt die Herzfrequenz dar. Liegt diese beim Sport zwischen 110-140 Herzschlägen pro Minute, so kann von einer moderaten, und somit Immunsystem fördernden, Belastung ausgegangen werden [1]. Prof. Löllgen von der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin rät „mit Blick auf die Positiveffekte wirklich jedem, Sport zu treiben [4].“ Hierbei sollte jedoch die persönliche Belastungsgrenze beachtet werden. Da besonders Anfänger diese oftmals nicht kennen, ist es ratsam, sich einen Trainer an die Seite zu stellen.

Quellenangaben:

[1] M. Baum, H. Liesen: „Sport und Immunsystem.“, https://www.aerzteblatt.de/pdf/95/10/a538-1.pdf, 12.08.2016
[2] „Schadet Sport dem Immunsystem?“, https://www.ugb.de/exklusiv/fragen-service/schadet-sport-immunsystem/?sport-immunsystem, 12.08.2016
[3] R. J. Shepard, P. N. Shek: „Potential impact of physical activity and sport on the immun system – a brief review.“, http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1332085/pdf/brjsmed00016-0033.pdf, 13.08.2016
[4] „Wann Sport Mord sein kann.“, http://www.internisten-im-netz.de/de_news_6_0_1568_wann-sport-mord-sein-kann.html, 13.08.2016